Karsten Jung, am Tue May 21 08:40:23 CEST 2013
Martin Stallmann wurde später Prof. für ev. Theologie mit Schwerpunkt Religionspädagogik, zuletzt in Göttingen.
Sein an die Theologie Rudolf Bultmanns angelehntes Konzept des "hermeneutischen Religionsunterrichts" stellt die hermeneutische Frage in den Mittelpunkt: Während andere Konzepte des RU davon ausgehen, dass die Verkündigung und das Vernehmen des Wortes Gottes im Mittelpunkt des Unterrichts zu stehen habe, legt Stallmann den Schwerpunkt darauf, dass dieses Vernehmen ein hermeneutischer Prozess sei - und nicht bloß ein unkritisches Annehmen einer vorgetragenen Verkündigung.
"Aller Unterricht setzt voraus, dass es Fragen gibt, die beantwortet werden sollten, und der christliche Unterricht tut nichts anderes, als dass er der Tatsache Rechnung trägt, dass bei der Begegnung mit der christlichen Verkündigung mit Notwendigkeit Fragen aufbrechen, denen die Antwort nicht verweigert werden darf. In der christlichen Verkündigung begegnet nämlich keine Wirklichkeit, die den Hörer in den Zustand einer fraglosen Seligkeit versetzt."
Den RU unterscheide aber von anderen Fächern, dass es in ihm nicht um einen außerhalb des Menschen liegenden Erkenntnisgegenstand geht, sondern um den Mensch selbst, um seine eigene Existenz. Deswegen dreht sich die Richtung der Frage um: Weg von der Frage nach einem biblischen Text, einem religiösen Ritual etc. hin zu der Frage nach mir: Wie und als was will ich mich selbst verstehen?
Besonders relevant ist diese Einsicht im biblischen Unterricht: Es gehe bei der Bibel nicht primär um bedeutende Ereignisse der Vergangenheit. Tatsächlich, so Stallmann, erheben die biblischen Texte primär den Anspruch, die Existenz des gegenwärtigen Menschen anhand von Geschichten (die vielfach ahistorisch sind), zu erklären. Es kann also nicht darum gehen, den Hörer zu zwingen, Ahistorisches zu glauben, sondern ihn anhand der Geschichten dazu zu bewegen, sich selbst zu hinterfragen. Der Unterricht gewinnt auf diesem Wege Nähe zur Verkündigung.